Brief an den Stadtrat: Faktencheck zur Debatte über den Umbau der Artur-Ladebeck-Straße

Der Radentscheid Bielefeld hat am 22. September den folgenden Brief an den Oberbürgermeister und die Mitglieder des Rates gesendet.

Mitglieder des Rates der Stadt Bielefeld
Oberbürgermeister Pit Clausen

Bielefeld, den 22. 9. 2021

Artur-Ladebeck-Straße:
Radverkehrsführung und öffentliche Diskussion

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Debatte zur Umgestaltung der Artur-Ladebeck-Straße hat sich sehr zugespitzt. Als langjährige Beobachter der Entwicklungen und Beschlüsse zu diesem Thema sind wir von einigen der aktuellen Reaktionen sehr erstaunt. Wir möchten Sie auf einige Argumente und Sachverhalte hinweisen, die übersehen zu werden drohen.

  1. Die Artur-Ladebeck-Straße ist langjähriger Unfallschwerpunkt.1 Die Unfallkommission forderte die Stadt Bielefeld bereits 2013 auf, zu handeln und die Radverkehrsführung entlang der Artur-Ladebeck-Straße von Adenauerplatz bis zur Hauptstraße neu zu planen.2 2016 erhielt die Stadt einen Förderbescheid des Umweltministeriums (90 % Förderung für ca. 2,9 Mio. Euro) für einen Umbau (Projekt „Steilpass“). Das Projekt wurde 2018 gestoppt, aber nicht grundsätzlich aufgegeben.3
  2. Die Artur-Ladebeck-Straße ist topographisch bedingt eine Hauptstrecke mit sehr großer Bedeutung für den Radverkehr. Trotz der unsicheren Führung und der baulichen Mängel werden die Radwege sehr stark genutzt.4 Die geschützten Radstreifen werden zu den notwendigen Verbesserungen in der Sicherheit und zu höheren Nutzerzahlen führen. Sie werden den Norden und den Süden Bielefelds verbinden und die Zusammengehörigkeit stärken.
  3. Es bestehen aktuell folgende Mängel für den Fuß- und Radverkehr:5
    • viele unübersichtliche Grundstücksausfahrten, Straßeneinmündungen und Kreuzungen;
    • viele Engstellen, kein Überholen möglich;
    • zu schmale Gehwege (teils 80 cm), Konflikte zwischen Fuß- und Radverkehr;
    • viele Wellen im Verlauf der Radwege, Sturzgefahr bereits bei mäßiger Geschwindigkeit, was zu der weiteren Gefahr führt, dass Radfahrende von der Beobachtung des umgebenden Verkehrs abgelenkt werden;
    • schlechte Erreichbarkeit der Ziele an der östlichen Seite der Artur-Ladebeck-Straße bei Fahrtrichtung stadtauswärts;
    • fehlende oder zu geringe Sicherheitsräume zwischen Rad- und Kraftverkehr.
  4. Die Planungen für die geschützten Radstreifen an der Artur-Ladebeck-Straße basieren auf demokratischen Beschlüssen und wurden lange vorbereitet und abgestimmt. Wichtige Schritte waren: BYPAD-Verfahren6, Ratsbeschluss zu BYPAD-Leitsätzen7, Abstimmung in Strategiegruppe Radverkehr, Ratsbeschluss zu Radverkehrskonzept Bielefeld8, Ratsbeschluss zum Radverkehrskonzept der Regiopolregion9, Ratsbeschluss zum Umsetzungskonzept Radverkehrskonzept Bielefeld10, Empfehlungsbeschluss der BV Gadderbaum11.
  5. Rettungsfahrzeuge, Feuerwehr und Müllfahrzeuge können und werden die stau­freien geschützten Radstreifen nutzen.12

Fazit

Der Radentscheid begrüßt ausdrücklich den Vorschlag der Verwaltung, den Radverkehr auf der Artur-Ladebeck-Straße mit Hilfe von geschützten Radfahrstreifen sicher und leistungsfähig zu führen. Diese Maßnahme ist sehr geeignet, den Vertrag zwischen Stadt und Radentscheid zu erfüllen, doch dies ist bei weitem nicht das einzige Motiv. Vor allem erfüllt der Umbau jahrelange Forderungen der Unfallkommission und setzt Vorschläge um, die ebenfalls schon lange in Arbeitsgruppen (unter Beteiligung von Politik, Fachgremien, Behörden und Interessenverbänden) und politischen Gremien erörtert werden.

Der jüngste Vorschlag der IHK ist zum jetzigen Zeitpunkt in weiten Teilen unausgearbeitet und lässt Fragen zur Sicherheit und zur stetigen Verkehrsführung offen. Er würde wegen seines vergleichsweise höheren bau- und verfahrenstechnischen Aufwandes erst in einigen Jahren realisiert werden können. Zudem berücksichtigt er nicht den laufenden Prozess für einen Radschnellweg OWL im Rahmen des Radverkehrskonzeptes der Regiopole Bielefeld.

Wir danken für Ihre Aufmerksamkeit und verbleiben
mit freundlichen Grüßen

Radentscheid Bielefeld

1 Auswertung polizeilicher Unfalldaten der Jahre 2002 bis 2013 durch VCD, ADFC, GAFF: Von 2002 bis 2013 gab es 238 polizeilich registrierte Unfälle mit Beteiligung von Radfahrenden an der Artur-Ladebeck-Straße = ca. 20 Rad-Unfälle pro Jahr. Damit wies die Artur-Ladebeck-Straße im Auswertungszeitraum den größten Anteil polizeilich erfasster Rad-Unfälle an allen Bielefelder Straßen auf.

2 Die Unfallkommission (Bezirksregierung, Polizei, Stadt Bielefeld) forderte am 8. Mai 2013: „Artur-Ladebeck-Straße zwischen Adenauerplatz und Hauptstraße […] aufgrund der seit langen Jahren bestehenden und immer wieder wechselnden Unfallschwerpunktes entlang der Artur-Ladebeck Straße wurde das Amt für Verkehr aufgefordert, konzeptionelle Planungen zur Änderung der Radverkehrsführung anzustellen.“ Zit. nach Protokoll des AK Rad vom 17.9.2013.

3 Informationsvorlage vom 29.5.2018, Drucksachen-Nummer 6691/2014-2020: Die Stadtverwaltung informiert den StEA darüber, dass das Projekt „Steilpass“ für eine neue Radverkehrsführung an der Artur-Ladebeck-Straße nicht weiter verfolgt werde und dass es einen „Planungsauftrag für einen Radschnellweg Herford – Bielefeld –Gütersloh“ gebe: „Umgestaltungen an der Artur-Ladebeck-Straße sollten daher in Abstimmung mit einer Radschnellwegplanung erfolgen. […] Der Umbau wäre dann im Jahre 2020.“

4 Zählstellen an der Artur-Ladebeck-Straße: https://data.eco-counter.com/public2/?id=300016682

5 Berichte der Unfallkommission mindestens seit 2010: Bericht zur Unfallsituation 2009 und den Beratungen der Unfallkommission 2010-I (Informationsvorlage der Verwaltung Drucksachen-Nummer 0938/2009-2014 und folgende)

6 Bypad: Vom 20.10.2015 bis 14.4.2016 lief das Bypad-Verfahren unter Beteiligung aller Parteien, von Fachgremien, Behörden und Interessenverbänden. Es mündete in gemeinsamen Empfehlungen, den fünf Bypad-Leitsätzen. Die Neue Westfälische titelte am 6.7.2016: „In Bielefeld entspricht kaum ein Radweg heutigen Standards“. https://www.nw.de/lokal/bielefeld/mitte/20845536_In-Bielefeld-entspricht-kaum-ein-Radweg-heutigen-Standards.html

7 Ratsbeschluss 29.9.2016 (Drucksachen-Nummer 3368/2014-2020): Die fünf Bypad-Leitsätze – darin der Auftrag für ein Radverkehrskonzept – wurden der Bielefelder Radverkehrspolitik verbindlich zugrunde gelegt.

8 Ratsbeschluss 18.6.2020 (Drucksachen-Nummer 10675/2014-2020): Radverkehrskonzept

9 Integriertes Radverkehrskonzept für die Regiopolregion Bielefeld: Ratsbeschluss vom 18.6.2020 (Drucksachen-Nummer 10879/2014-2020)

10 StEA-Beschluss 22.6.2021 (Drucksachen-Nummer 0697/2020-2025): Umsetzungskonzept zum Radverkehrskonzept

11 Empfehlung der BV Gadderbaum zur Errichtung von Geschützten Radfahrstreifen an den Stadtentwicklungsausschuss, 27.08.2020, TOP 5.5, Drucksache 11493/2014-2020

12 Videos von Rettungsfahrzeugen, die erst durch einen separaten Radstreifen im dichten Verkehr vorankommen: https://youtu.be/uFMmKP7qDkI und https://youtu.be/e6BV9kWFUYU (jeweils London), https://youtu.be/4QmUkyKo8YU?t=10 (New York)

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