Ein Radschnellweg, der schon vor 86 Jahren greifbar nahe schien


An diesem Sonntag, dem 22. September 2019, demonstriert der Radentscheid an der B 61 zwischen Bielefeld und Gütersloh. Damit richten wir uns gegen die Pläne zum Ausbau dieser Straße von Rheda-Wiedenbrück über Gütersloh bis Isselhorst und gegen die geplante Ortsumgehung Ummeln. Wir fordern stattdessen die Priorisierung eines Radschnellweges. Es gibt Pläne für einen solchen Weg zwischen Rheda-Wiedenbrück und Minden. Wir beklagen, dass jedoch viel konkreter versucht wird, eine vierspurige Autoverbindung von Rheda-Wiedenbrück bis ins Bielefelder Zentrum zu schaffen.

Aus den Kreisen des ADFC Bielefeld erreicht uns ein Zeitungsartikel von Anfang 1933, den wir hier wiedergeben. Es ist traurig zu sehen, wie greifbar nahe der „Radfahrweg Gütersloh–Bielefeld–Minden“ damals schien, dass aber 86 Jahre später kaum eine Spur davon vorhanden ist. Aktuell existieren nur schmale Seitenwege auf Abschnitten zwischen Gütersloh und Brackwede sowie zwischen Baumheide und Herford. Außerdem weist dieser Artikel darauf hin, dass es damals anscheinend eine instutionelle Fahrradlobby gab, die uns heute gut tun würde. Ebenso ist bemerkenswert, wie sehr Wirtschaft und Handel der Region von der erheblichen Bedeutung einer solchen Verbindung überzeugt waren.

(Anmerkung: Wir haben die typografische Form jener Zeit und die wenigen Setzfehler beibehalten. Dieser Artikel erschien vier Wochen nach der „Machtergreifung“ der – oder eher Machtübergabe an die – Nationalsozialisten. Die Verkehrspolitik im „Dritten Reich“ ist sprichwörtlich bekannt für eine Förderung des Autoverkehrs. Wir nehmen an, dass zum Zeitpunkt dieses Berichts die Beteiligten noch nicht zwingend als Vertreter der NS-Politk anzusehen sind. So ist zum Beispiel der erwähnte Gütersloher Bürgermeister Gustav Thummes im Oktober 1935 durch das NSDAP-Parteimitglied Josef Bauer ersetzt worden. Zudem ist der Plan ja nicht oder nur ungenügend umgesetzt worden, was auch an den Prioritäten der neuen Machthaber liegen könnte. Mit der Veröffentlichung dieses Artikels wünschen wir uns also in keinster Weise irgendwelche „Verhältnisse von 1933“ zurück.)

Bielefelder General⸗Anzeiger
Weſtfäliſche Neueſte Nachrichten, Nr. 49
Montag, 27. Februar 1933

Es geht vorwärts

Der Radfahrweg Gütersloh–Bielefeld–Minden

Wichtige Vorbeſprechungen zur Förderung des Verkehrsplanes
Verein für Radfahrwege Bielefeld leiſtet die Vorarbeiten

Ende voriger Woche fand, veranſtaltet vom Verein für Radfahrwege, Ortsgruppe Bielefeld, im Gildenhaus eine hochbedeutſame Veranſtaltung ſtatt, die ſich von morgens um 9 Uhr bis in den ſpäten Abend hinzog. An der Veranſtaltung beteiligten ſich die Provinzialverwaltung der Provinz Weſtfalen durch Entſendung des Provinzialbaurats Mönnig, die Städte und Kreiſe Gütersloh, Minden, Herford und Bielefeld durch Entſendung ihrer Stadtbauräte, Kreisbauräte, des Oberbaurats Schulz (Bielefeld), des Bürgermeiſters von Gütersloh Thummes, die vier Arbeitsämter durch Entſendung ihrer vier Arbeitsamtsdirektoren, ferner die ſämtlichen Radfahrvereine aus dem Gebiet, die Fahrradhändler und eine Anzahl Fahrradinduſtrieller und Fahrradteileinduſtrieller aus dem Gebiet. Auch die Zentralſtelle für Radfahrwege Berlin hatte ihren maßgebendſten Sachbearbeiter entſandt, des weiteren der Vorbereitende Ausſchuß zur Erſtellung von Radfahrwegen in den Provinzen Rheinland und Weſtfalen, Sitz Düſſeldorf, den führenden Herrn Dr. Binſtadt, und ſchließlich die Polizeiverwaltung Bielefeld Polizeirat Schreiber in Vertretung des Polizeipräſidenten.

Unter Leitung des Vorſitzenden des Vereins für Radfahrwege, Ortsgruppe Bielefeld, Generaldirektor Kramer von der Ankerwerke A.⸗G. begann morgens um 9 Uhr im Gildenhaus die Beratung. Syndikus Karſt legte in einem einleitenden Referat das Arbeitsprogramm für den in Ausſicht genommenen Radfahrweg auf der Privinzialſtraße Gütersloh–Minden in klarer Dreiteilung auseinander. Er wies darauf hin, daß es gelte,

1. die rechtliche Seite des ganzen Planes zu bearbeiten und zu klären hinſichtlich der Träger der Arbeit, der Träger des Dienſtes, der Vertragskontrahenten mit der Provinz, der Verpflichtung für die Inſtandhaltung des Weges wie auch der Haftung für Unfälle, die ſich bei Benutzung des Weges auf dieſem ergeben können.

2. die techniſch konſtruktive Frage — Wegführung, Wegbreite, die eigentliche Bauform des Weges nach Unterbau und Decke — zu klären, um damit für den ebenſo wichtigen

Punkt 3 — die Finanzierung des Weges — für einen Koſtenanſchlag die notwendigen Grundlagen zu haben.

Ferner ſtellte er noch die beſonderen Vorteile der augenblicklichen Zeitumſtände für die Anlage ſolcher Wege heraus. Er wies darauf hin, daß eine grundſätzliche Entſcheidung des Bezirkskommiſſars für den Freiwilligen Arbeitsdienſt in Dortmund die Anlage von Radfahrwegen als volkswirtſchaftlich wertvoll anerkannt ſei, daß alſo dieſe Wege im freiwilligen Arbeitsdienſt erſtellt werden könnten; daß die Reichseiſenbahn ſich bereit erklärt habe, koſtenlos die Abfallprodukte aus dem Gleisbau und aus dem Dampflokomotivenbetrieb zur Verfügung zu ſtellen; daß weiterhin die Provinz grundſätzlich an den baren Auslagen in noch näher zu vereinbarender Form ſich zu beteiligen gedenke; daß die Induſtrie bereit ſei, weitgehendſt die Materialfuhren zu leiſten und daß durch den Vorbereitenden Ausſchuß zur Anlage von Radfahrwegen in den Provinzen Rheinland und Weſtfalen die Bereitſtellung von komplett eingerichteten Baracken für den freiwilligen Arbeitsdienſt in jeder Hinſicht ſichergeſtellt ſei. Durch alle dieſe Tatſachen ſeien ſo weſentliche Vorausſetzungen für die wirtſchaftliche Geſtaltung des Weges gegeben, daß mit aller Energie darangegangen werden müſſe, die letzten Schwierigkeiten zu überwinden, um bei Eintritt wärmerer Jahreszeit mit der Arbeit ſelbſt beginnen zu können.

In dreiſtündiger eingehender Beratung wurden die einzelnen Punkte eingehend durchgeſprochen. Erfreulicherweiſe konnte feſtgeſtellt werden, daß alle in Frage kommenden Organe grundſätzlich gewillt ſind, mit aller Energie und Tatkraft an der Verwirklichung dieſes bedeutſamen Planes mitzuarbeiten. Oberbaurat Schulz (Bielefeld) formulierte in kurzen, prägnanten Sätzen die Fragen, die noch in der Nachmittagsſitzung geklärt werden müßten.

In bereitgeſtellten Automobilen fuhr man dann die ganze Strecke ab, erſt von Bielefeld bis Minden und dann von Minden bis Gütersloh. Eingehend wurden durch die örtlichen Behördenvertreter auf der Wegſtrecke die Möglichkeiten der Anlage des Weges ſowohl auf der Provinzialſtraße wie in den Fällen, wo dies nicht möglich ſei, in Ableitung auf nebenhergehendem Gelände, erörtert.

Nachmittags vereinigten ſich die Teilnehmer in Gütersloh im „Hotel Kaiſerhof“ zur Fortſetzung der am Vormittag unterbrochenen Ausſprache und zur Verarbeitung der durch die Ortsbeſichtigung gewonnenen Eindrücke. Man darf wohl heute ſchon feſtſtellen, daß für mindenſts 90 Prozent der Wegſtrecke, ſofern man von den Stadtkernen abſieht, volle Klarheit beſteht, wie der Weg zu führen iſt. Die Verhandlungen führten zu dem ſehr beachtlichen Ergebnis, daß einmal die Rechtsbeziehungen der Vertragskontrahenten ziemlich reſtlos geklärt wurden, daß weiterhin hinſichtlich der techniſch konſtruktiven Löſung der Wegform ſelbst nach den eingehenden Darlegungen aus den Kreiſen der Radfahr⸗Vereine und des Vertreters der Zentralſtelle für Radfahrwege Berlin eine ziemlich ſicher anerkannte Grundlage der noch vorzunehmenden genauen Kalkulation für die Aufſpaltung der geſamten Wegſtrecke auf die einzelnen Vertragskontrahenten Kreiſe und Kommunen geſchaffen wurde.

Dem Verein für Radfahrwege, Ortsgruppe Bielefeld, wurde die geſamte Geſchäftsführung als Zentralſtelle für die am einzelnen Ort einzuſetzenden Maßnahmen zugeſprochen. Die Aufgabenbereiche, die den einzelnen Gruppen zugewieſen wurden, ſind klar umriſſen. Es iſt zu hoffen, daß in den nächſten Wochen dieſe Arbeiten ſo gefördert werden, daß Ende März eine neue gemeinſame Sitzung ſtattfinden kann, um in Auswertung dieſer Zwiſchenarbeiten zu einem klaren Ergebnis nach jeder Richtung hin zu gelangen.

Bei der bis zum Schluß vertretenen ſtarken Willensfreudigkeit, alles zu tun, um das Gelingen des Werks ſicher zu ſtellen, darf erwartet werden, daß dieſer Weg mit den daraus ſich ergebenden Zukunftsmöglichkeiten der Schaffung weiterer Querverbindungen nach näher und ferner liegenden Orten den Anfang zur Löſung aller Verkehrsfragen für Automobil, Motorrad, Fuhrwerk und Fahrrad darſtellt. Die zu erwartende Verkehrsverbeſſerung in einem ſo umfaſſenden, mit ſtarkem Perſonenverkehr belaſteten Gebiet iſt für die Geſamtbevölkerung von außerordentlicher Wichtigkeit, aber auch für Wirtſchaft und Handel von großer Bedeutung.

 

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