Offener Brief: Autobahnähnlichen Neubau der Herforder Straße stoppen!


Symbolbild: Smog and heavy trafić at night (Kraków, Poland) by Jacek Dylag on Unsplash. Unsplash License. Miminal bearbeitet.

Nach wie vor werden in Bielefeld und Umgebung erschreckende Pläne für den autobahnähnlichen Ausbau oder besser Neubau von Straßen verfolgt. Die Beteiligten in Stadt, Region und Land widersprechen mit diesen Taten ihren eigenen Bekenntnissen zu Klimakrise und Umweltschutz. Eine unrühmliche Rolle spielt dabei immer wieder der Landesbetrieb Straßenbau NRW („Straßen.NRW“), aber auch die Stadt Bielefeld hat von diesen Plänen noch nicht Abstand genommen.

Der Radentscheid hatte dazu bereits im September 2019 an einer gemeinsamen Demonstration gegen die Baupläne an der B 61 im Abschnitt Rheda-Wiedenbrück–Gütersloh–Bielefeld teilgenommen. Pläne dieser Art existieren aber an vielen weiteren Strecken: für die B 51 / B 64 von Münster nach Rheda-Wiedenbrück, nördlich von Bielefeld für die B 61 zwischen Bielefeld und Herford, auf der B 239 nach Löhne und auf der B 61 von Bad Oeynhausen nach Porta Westfalica. Um den vierspurigen Umbau der B 61 von Baumheide bis Brake (Herforder Straße) entwickelt sich aktuell eine Debatte. Als Argument dient die Anbindung der A 2-Ausfahrt Ostwestfalen-Lippe an die Herforder Straße durch die ebenfalls umstrittene, aber bereits durch die Planfeststellung gegangene Straße L 712n. Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass alte Pläne für ein dichtes Autobahnnetz aus den 1960er und 1970er Jahren, die eigentlich längst aus den Verkehrswegeplänen gestrichen wurden (Stichworte: A 47 und A 35), in den Amtsstuben mit anderen Mitteln weiter verfolgt werden.

In diesen Tagen wurde ein Offener Brief an Oberbürgermeister Clausen und die Bielefelder Ratsmitglieder gegen die Pläne an der Herforder Straße verschickt. Er ist unterzeichnet von einem breiten Bündnis von Organisationen, die weit über Bielefeld und auch über die Schwerpunkte Klimawende und Verkehrspolitik hinausreichen. Wir danken dem Bündnis Mut zur Verkehrswende für die Arbeit und dokumentieren den Brief im Wortlaut.


Bielefeld, 17. Januar 2022

An den Oberbürgermeister Pit Clausen
An die Mitglieder des Rates der Stadt Bielefeld

Offener Brief:

Autobahnähnlichen Neubau der Herforder Straße stoppen

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,

die Bedrohung durch den Klimawandel ist bedrückend. Die internationale Staatengemeinschaft ringt um einen Weg, das 1,5-Grad-Ziel doch noch zu erreichen. Mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 sollten die Weichen entsprechend gestellt werden. Die EU und die Bundesrepublik Deutschland haben daraus ehrgeizige Ziele für die Reduktion der Treibhausgasemissionen abgeleitet. Das im letzten Jahr novellierte Klimaschutzgesetz gibt eine CO₂-Einsparung von mindestens 65 % bis 2030 vor. Bielefeld hat im Juli 2019 den Klimanotstand ausgerufen. Am 23. September des letzten Jahres hat der Rat der Stadt als Zieljahr für das Erreichen von Klimaneutralität das Jahr 2035 festgelegt. Trotzdem müssen wir feststellen, dass an bestehenden Verkehrs- und Straßenplanungen festgehalten wird, ohne diese zu hinterfragen. Wir fragen Sie: Wie sollen diese absolut richtigen, aber sehr ehrgeizigen Klimaziele erreicht werden, wenn im alltäglichen Handeln von Verwaltung und Politik vor Ort weiter an uralten Planungen festgehalten wird, die zweifelsfrei die CO₂-Emissionen erhöhen, statt sie zu senken? Welchen Sinn macht es, im Bielefelder „Hufeisen“ Maßnahmen zur Reduktion des Autoverkehrs einzuleiten, wenn zugleich mit dem Ausund Neubau von Fernstraßen dem Autoverkehr der Weg in die Innenstadt erleichtert wird? Die bescheidenen CO₂-Einsparungen durch das Projekt „altstadt.raum“ werden durch den vierspurigen Neubau der Herforder Straße zusammen mit den Neubaumaßnahmen L 712n und B 61n (Ortsumgehung Ummeln) mit einen vielfachen CO₂-Ausstoß ad absurdum geführt.

Die Verwaltungsvorlage zum geplanten Aus- bzw. Neubau der Herforder Straße (B 61) mutet an wie ein Papier aus vergangenen Zeiten. Dort ist euphemistisch von Ausbau die Rede. Geplant wird aber ein vierspuriger, autobahnähnlicher Neubauabschnitt neben der alten Trasse. Zur Erschließung der dortigen Häuser muss an der Westseite sogar zusätzlich eine neue Straße gebaut werden. Bis zur Fertigstellung dauert es mindestens bis 2026. Die Kosten: ca. 15,3 Millionen Euro allein für den 2 km langen Abschnitt vom Rabenhof bis zum Milser Krug. Massive Eingriffe in die schutzwürdige, als Naturschutzgebiet vorgesehene Johannisbachaue sind Bestandteil der Planungen. Der hier auch vorgesehene Radschnellweg Bielefeld–Herford wurde wegen fehlender politischer Beschlüsse über die Radschnellwegtrasse erst gar nicht einbezogen. Diese veraltete Planung passt nicht mehr zu den heute bekannten dramatischen Folgen des Klimawandels und der notwendigen Mobilitätswende.

Projekte zum Aus- oder Neubau von Fernstraßen werden zwar einer Umweltverträglichkeitsprüfung, bisher aber keiner Klimaverträglichkeitsprüfung unterzogen. Das Aktionsbündnis „Mut zur Verkehrswende“ hatte schon im April des vergangenen Jahres den NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst mit der Frage konfrontiert, warum für die alten Planungen keine Klimaverträglichkeitsprüfung nachgeholt werde. Der Minister ist eine Antwort schuldig geblieben. Auch in der Verwaltungsvorlage zur Herforder Straße wird an keiner Stelle die Klimaverträglichkeit oder besser Klimaunverträglichkeit dieser Planung angesprochen. Das ist auch kein Wunder, weil die bisher vorliegenden Verkehrsgutachten aufzeigen, dass die Planungen zu deutlichen Verkehrszuwächsen führen werden, nicht nur auf der L 712n und der Herforder Straße, sondern auch auf bereits vorhandenen Straßen. Auf der Altenhagener Straße zum Beispiel wird mit einem Zuwachs von bis zu 30 % gerechnet. Diese Verkehrssteigerungen weisen eindeutig auf eine Klimaunverträglichkeit hin.

Der Rat der Stadt hat 2019 eine Mobilitätswende mit hochgesteckten Zielen beschlossen. Dazu passt absolut nicht, dass in den Neubau der Herforder Straße Millionen investiert werden, anstatt das Geld für Verkehrsprojekte zu nutzen, die nachweislich zu deutlichen CO₂-Einsparungen beitragen.

Bei der Verabschiedung des 3. Nahverkehrsplans wurde von Verwaltung und Politik darüber geklagt, dass nicht genügend Geld für den Ausbau des ÖPNV vorhanden sei, und gleichzeitig wird der Autoverkehr noch immer mit viel Geld gefördert, der dann auch noch dem ÖPNV die Kunden wegnimmt. Diese Argumentation gilt erst recht für den Neubau der L 712n und der B 61n (Ortsumgehung Ummeln), die noch weit größere Geldsummen verschlingen werden. Wenn erst einmal die Ortsumgehung Ummeln gebaut ist, ist es um die Verbesserung des ÖPNV im Korridor Bielefeld–Ummeln–Isselhorst–Gütersloh schlecht bestellt.

Wenn wir den drohenden Klimawandel ernst nehmen, müssen wir mit dem Aus- und Neubau von Fernstraßen Schluss machen. Wir bitten Sie eindringlich, die Planung für den Neubau der Herforder Straße zu stoppen. Das muss eine Kündigung des Vertrags einschließen, den die Stadt Bielefeld mit dem Landesbetrieb Straßen.NRW zum Neubau der Herforder Straße geschlossen hat. Auch die beiden Neubauprojekte L 712n und B 61n (Ortsumgehung Ummeln) gehören auf den Prüfstand. Wir dürfen keine Verkehrsprojekte mehr umsetzen, deren Klimaverträglichkeit nicht nachgewiesen ist.

Wir sind gerne bereit, diese Problematik vertieft mit Ihnen und den zuständigen Fachleuten in der Verwaltung zu diskutieren.

Mit freundlichen Grüßen

Gezeichnet von den nachfolgenden Organisationen/​Vereinen/​Verbänden/​Initiativen:

Mut zur Verkehrswende Rolf Potschies
Klimabündnis Bielefeld Dr. Angelika Claussen
Freie Scholle Kai Schwartz
Transition Town Bielefeld Dr. Michael Schem
Bürgerinitiative Stiftberg – Verkehrswende jetzt! Julie Mettenbrink
Naturfreunde Herford Burkhard Wolff
Bielefeld pro Nahverkehr Christoph Birnstein
Parents for Future Herford Marina Görs
Gruppe aktiver FahrradfahrerInnen und FußgängerInnen (GAFF) Sebastian Lisken
Extinction Rebellion Bielefeld
BUND Kreisgruppe Herford Bernd Meier-Lammering
Nachbarschaftsrat Ostmannturmviertel Reinhard Kranz
Parents for Future Bielefeld Anette Schulte
ADFC Bielefeld Kordula Gützlag
VCD Ostwestfalen-Lippe Martin Schmelz
Radentscheid Bielefeld Claudia Böhm, Pip Cozens, Michael Schem
VCD Minden-Lübbecke Herford Heidi Hetz
VENGA – Hochschulgruppe für Tiere Ute Esselmann
BürgerInneninitiative Sichere Detmolder Straße Rita Stuke
Naturfreundejugend Teutoburger Wald
Forum Erneuerbare Energien OWL Kurt Gramlich
Gemeinschaft gegen den Ausbau der B 61 Anette und Ingolf Klee
ver.di Bezirk Ostwestfalen-Lippe Hermann Janßen
Kinder- und Jugendärzte Bielefeld Roland Tillmann
Sozialverband VdK – Kreisverband Bielefeld Gabriele Gleisner
BUND-Kreisgruppe Bielefeld
Initiative Bielefelder Hausärzte Johannes Hartmann
Health for Future Phyllis Bollgönn
NABU-Stadtverband Bielefeld
Fridays for Future Bielefeld Meret Karenfort
Bielefelder Jugendring Katja Häckel
pro grün Bielefeld Michael Blaschke, Prof. Tilman Rhode-Jüchtern
Bürgerinitiative Lebenswerter Westen Dr. Barbara Burghardt
Die Falken Bielefeld André Maas
Friedensfördernde Energie-Genossenschaft Herford Barbara Rodi
NaturFreunde Deutschlands, Ortsgruppe Bielefeld Ralf Wächter
EndeGelände Bielefeld
BUNDjugend Bielefeld
Bürgerinitiative Kulturlandschaft Sundern–Samtholz–Brock Elisabeth Meier
Aktionsbündnis Klimagerechtigkeit Bielefeld
Bürgerinitiative L 712n – nicht so Ulf Blumenstock
Lippe for Future
Bürgerinitiative gegen Lärm am Ostwestfalendamm Heike Winkelmann
Radentscheid Detmold

Gezeichnet von folgenden Einzelpersönlichkeiten:

Murisa Adilović, Bielefeld, Vorsitzende des Integrationsrates
Cornelia Buldmann, Bielefeld, Allgemeinärztin, Hausärztliche Praxis und Medizinische Fakultät OWL
Johannes Buldmann, Witten, Student PPÖ
Jörn Buldmann, Bielefeld, Allgemeinarzt, Hausarztpraxis
Heike Dorenkamp, Bielefeld, Verwaltungsangestellte
Ulrike Düker, Bielefeld, Dipl. Soz.Päd.
Wolf Engelken, Bielefeld
Dieter Frohloff, Bielefeld
Brigitte Gärtner-Coulibaly, Herford
Thomas Kiper, Bielefeld-Sennestadt
Hermann Ostermann, Bielefeld, Gewerkschafter i. Ruhestand
Renate Ostermann, Gütersloh
Margret Ostermann, Mitglied des Klimabeirats der Stadt Gütersloh
Elisabeth Reinhardt, Bielefeld
Susanne Schütz, Bielefeld, Diplom-Sozialpädagogin
Michael Schütz, Bielefeld, Diplom-Sozialpädagoge
Dr. Thomas von Sehlen, Bielefeld, Soziologe
Willi Wächter, Leopoldshöhe, Vorsitzender PRO BAHN in OWL

 


Der Brief im Originalformat (PDF, 1,3 MB): Offener Brief OB und Stadtrat Herforder Straße

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